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Die „Neue Seidenstraße“ ist die informelle Bezeichnung für Chinas ehrgeizige Pläne, massiv auf dem eurasischen Kontinent sowie in den Seeweg zwischen Fernost und Europa zu investieren. Bekannt ist das Projekt auch unter dem Titel „One Belt, One Road“, kurz OBOR.
Ursprünglich war die Seidenstraße ein Geflecht von Handelsrouten, die über Jahrhunderte hinweg den Austausch von Gütern zwischen dem Fernen Osten und dem Abendland ermöglichten. China knüpft mit der „Neuen Seidenstraße“ also an seine Geschichte an – und erinnert an die historische Relevanz des Vorhabens. Allerdings beschränkt sich das OBOR-Projekt nicht nur auf den internationalen Handel. Auch in der Weltpolitik will China sein Gewicht erhöhen und damit seinem historischen Selbstverständnis als „Reich der Mitte“ wieder näher kommen.
In puncto Wirtschaftsleistung konnte die Volksrepublik bereits wieder in den Bereich früherer Größe vorstoßen (Grafik):
Um 1820 wurde weltweit etwa ein Drittel aller Güter und Dienstleistungen in China hergestellt. Im 20. Jahrhundert sank der Anteil bis auf 5 Prozent, 2010 waren es wieder 17 Prozent.
Wegen der ausbleibenden Industrialisierung zogen bereits im 19. Jahrhundert zunächst Westeuropa und später auch die USA an China vorbei. Durch das hohe Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten hat sich China jedoch wieder an die globale Spitze herangearbeitet.
China war schon ein mal eine Weltwirtschaftsmacht – und ist nun auf dem Weg zurück dorthin.
Weltpolitisch ist Peking derzeit allerdings alles andere als ein Schwergewicht. Zwar kann China mit seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Resolutionen blockieren, doch aktiv gestalten lässt sich die internationale Politik so nur begrenzt.
Bis ins 19. Jahrhundert war das noch ganz anders: China war militärisch und politisch schier unangreifbar, erhob von seinen direkten Nachbarn Tributzölle und nahm die westlichen Nationen allenfalls am Rande war. Dies änderte sich allerdings schlagartig, als die Briten mit ihrer modernen Flotte den Ersten Opiumkrieg (1839 bis 1842) gewannen und China so Zugeständnisse im Außenhandel abverlangen konnten.
Vor diesem Hintergrund wäre es zu kurz gegriffen, die Initiative für die „Neue Seidenstraße“ nur unter wirtschaftlichen Aspekten zu betrachten. Denn sie umfasst Elemente, die auch die Gewichte in der internationalen Politik verschieben:
Welche Strategie China exakt verfolgt, lässt sich allerdings nur schwer einschätzen – denn Ankündigungen und tatsächliche Aktivitäten variieren häufig. Seit kurzem verwenden etwa chinesische staatliche Medien statt der Bezeichnung „One Belt, One Road“ den Ausdruck „Belt and Road Initiative“, der sich international aber noch nicht durchgesetzt hat. Die Betonung wirtschaftlicher Interessen lenkt zudem die Aufmerksamkeit von den politischen Ambitionen Pekings ab.
Die OBOR-Strategie ähnelt in einigen Punkten anderen Feldern der chinesischen Außenpolitik, etwa dem Konflikt im Südchinesischen Meer: Die chinesischen Gebietsansprüche drücken Machtansprüche aus, sind teilweise schon in Beton gegossen und stellen westlich geprägte multilaterale Organisationen infrage. Peking hatte im Juli die Zuständigkeit des Internationalen Schiedsgerichtshofs in Den Haag zurückgewiesen. Dass China seine Gebietsansprüche mit seinem historischen Territorium begründet, zeigt einmal mehr, wie wichtig die Geschichte für Chinas Rhetorik ist.
Chinas Anstrengungen versprechen profitable Investitionen, aber wie eine von Peking geprägte Globalisierung aussehen wird, ist derzeit nur schwer abzuschätzen.
Eine abschließende Bewertung der „Neuen Seidenstraße“ fällt deshalb ambivalent aus. Vor dem Hintergrund diverser Rückschläge für die Globalisierung wie dem weltweit erstarkenden Rechtspopulismus mit seinen protektionistischen Tendenzen, dem Brexit-Votum oder der zunehmenden Zerstrittenheit der EU sind die chinesischen Anstrengungen als positiv zu bewerten. Sie versprechen profitable Investitionen in Zeiten eines globalen Kapitalüberangebots und damit Wachstum und Wohlstand durch Handel. Wie aber eine Globalisierung zukünftig aussieht, die stärker in Peking geprägt wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer einzuschätzen. Die Rolle humanitärer, sozialer und ökologischer Standards wird wohl unter anderen Vorzeichen neu bestimmt werden müssen.