Der Begriff Technofeudalismus beschreibt eine neue Form der wirtschaftlichen Organisation, die auf der Privatisierung digitaler Infrastrukturen und der Ausbeutung persönlicher Daten basiert. Diese Entwicklung markiert eine historische Transformation des Kapitalismus, von seinen industriellen Ursprüngen bis hin zum heutigen digitalen Zeitalter.
Zu Beginn war das Internet nicht das globale Netzwerk, das wir heute kennen, sondern ein akademisches und gemeinschaftliches Projekt namens „Joint Academic Network“. Es war ein marktfreier Raum, in dem individuelle Beiträge nicht kommerzialisiert wurden. Doch dieses Paradigma änderte sich radikal mit der Privatisierung des Internets, der Grundstein für das, was wir heute Technofeudalismus nennen.
Ein entscheidender Faktor für diese Privatisierung war das Fehlen einer einheitlichen digitalen Identität. Anders als Staaten, die Pässe und Ausweise ausstellen, verfügte das Internet nie über ein universelles System zur Identitätsprüfung. Dies ermöglichte es privaten Unternehmen wie Google und Facebook, sich als Hüter der Online-Identität zu etablieren, was die Nutzer zwang, auf deren Dienste zurückzugreifen, um ihre Legitimität zu beweisen.
Ein weiterer Wendepunkt war die Finanzkrise 2008. Im April 2009 pumpten weltweite Führer wie Nicolas Sarkozy, Gordon Brown und Barack Obama Billionen Dollar in die Wirtschaft, um das Bankensystem zu stabilisieren. Ein Teil dieses Geldes floss in die Entwicklung des sogenannten „Cloud-Kapitals“, eine Form von Investitionen in digitale Technologien und deren Fähigkeit, riesige Mengen an Daten zu erfassen.
Der Kapitalismus hat sich stets weiterentwickelt, um neue Bedürfnisse zu befriedigen. Anfangs diente er dazu, bereits bestehende Wünsche effizienter zu erfüllen, wie etwa die Produktion von Brot. Doch in den 1950er- und 1960er-Jahren, mit Unternehmen wie Coca-Cola oder Ford, wandelte sich der Kapitalismus: Er begann, neue Bedürfnisse zu schaffen. Werbung verwandelte materielle Produkte in emotionale Symbole, wie die ikonische Schokoriegel-Szene in der Serie Mad Men zeigt.
Heute hat sich diese Logik durch Automatisierung und Algorithmen noch weiterentwickelt. Sprachassistenten wie Siri, Alexa oder Google Assistant gehen über das Erfüllen von Nutzerwünschen hinaus, sie beeinflussen subtil deren Konsumverhalten. Dieses System produziert keine Waren, sondern Macht für die Besitzer der Technologien.
In dieser neuen Wirtschaftsordnung sind Nutzer sowohl Konsumenten als auch Produzenten von Wert. Jede Social-Media-Post, jedes hochgeladene Video stärkt die Plattformen wie TikTok oder X (ehemals Twitter). Dabei arbeiten die Nutzer unbezahlt und schaffen enormen Kapitalwert für die Plattformbetreiber, ohne Lohn oder soziale Absicherung.
Diese freiwillige Beteiligung geht oft mit prekärer digitaler Arbeit einher, wie bei Plattformen wie Amazon Mechanical Turk. Dort erledigen „Cloud-Arbeiter“ kleine, digitale Aufgaben für geringe Bezahlung, ohne Anstellungssicherheit oder direkten Kontakt zu ihren Arbeitgebern.
Technofeudalismus zeichnet sich durch die Entstehung digitaler „Lehnsherren“ aus, die „Cloud-Fürstentümer“ kontrollieren. Diese ermöglichen es den Plattformbesitzern, Wert von Konsumenten und Arbeitern abzuschöpfen, ohne direkt Produkte herzustellen. Das Modell basiert auf einer Machtasymmetrie: Eine kleine Minderheit besitzt die Infrastrukturen und den Zugang zu Daten, während die Mehrheit unfreiwillig zu ihrem Reichtum beiträgt.
Die Entwicklung hin zum Technofeudalismus wirft grundlegende Fragen über die Natur von Arbeit, Eigentum und digitaler Souveränität auf. Während der traditionelle Kapitalismus die Produktion materieller Güter optimierte, schöpft der Technofeudalismus aus persönlichen Daten und menschlichem Verhalten. Angesichts dieser Transformation muss die Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Modelle und rechtlichen Rahmenbedingungen neu denken, um eine gerechte Verteilung der Gewinne sicherzustellen und die Rechte des Einzelnen im digitalen Zeitalter zu schützen.
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Artikel verfasst vonDavid Jacques Ruas |