„Mit zerbrochenen Armen und Beinen auf das Rad geflochten“


Artikel verfasst von

Maike

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Erzbischof Engelbert von Berg (circa 1185–1225) hatte große Pläne. Er wollte seine Diözese Köln zu einer Grundherrschaft machen, in der die Untertanen ohne Angst vor adligen Übergriffen ihrem Tagewerk würden nachgehen können. Das missfiel seinem Neffen Friedrich von Isenberg, der nicht ganz zu Unrecht erhebliche Einkommensverluste befürchtete. Also lauerte er am 7. November 1225 in einem Hohlweg bei Gevelsberg im südlichen Westfalen dem Kirchenfürsten auf und erschlug ihn. Allerdings war damit das Problem nicht aus der Welt, denn Engelbert war ein enger Verbündeter des Stauferkaisers Friedrich II. Der verhängte die Reichsacht über Friedrich, ließ seine Burg schleifen und Jagd auf ihn machen. Im November 1226 fiel er Engelberts Nachfolger in die Hände.


 

„Ihm wäre zu gelind ein eichner Strang um seinen Kragen“, kommentierte der Dichter Walther von der Vogelweide den Vorgang. Erzbischof Heinrich I. von Müllenark sah das genauso und verhängte eine abschreckende wie ungewöhnliche Strafe: Tod auf dem Rad. Das war zum einen eine entsetzliche Form der Hinrichtung, zum anderen eine reichlich ungewöhnliche für einen Adligen, dem in der Regel der einigermaßen schnelle Tod durch Schwert oder Axt zugebilligt wurde.

Der bekannte Fall des Friedrich von Isenburg gehört zu den packenden Beispielen, die der Historiker und Wissenschaftspublizist Tillmann Bendikowski in seinem neuen Buch „Ein Jahr im Mittelalter“ ausbreitet. In zwölf Kapiteln, die den Monaten des Jahres zugeordnet sind, bietet er ein leichtfüßiges Panorama einer fernen und fremden Lebensrealität, die von einschlägigen Spielfilmen eher verzerrt als verständlich gemacht wird. Zum Beispiel das Rechtssystem, dem der Monat April gewidmet ist.

Mit dem komplexen Römischen Recht hatte das Mittelalter wenig gemein. Lange standen Sühne und Abschreckung im Vordergrund. Erst im elften Jahrhundert setzte sich der Gedanke durch, dass auch Buße bei der Bestrafung eine Rolle spielen sollte: Niemand dürfe von einem Schuldigen Bußgelder entgegennehmen und deshalb von einer Bestrafung Abstand nehmen, dekretierte der „Gottesfrieden in Köln“ 1083.





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Der geschundene Körper wurde mit gebrochenen Armen und Beinen auf das Rad gebunden

Quelle: Wikipedia/Public Domain

 

Ohnehin gab es keine formalisierten Verfahrenswege oder kodifizierte Gesetzestexte. Der Spielraum der Richter war gewaltig, Korruption und Lynchjustiz waren wohl an der Tagesordnung. Hinzu kam, dass die Strafverfolgung abhängig war vom sozialen Status des Delinquenten. Gewaltsame Fehden unter Adligen etwa galten als durchaus legales Mittel im politischen Kampf, sodass zahlreiche Historiker den Tod Engelberts allenfalls als Totschlag werten. Den Richter Friedrichs von Isenburg focht das nicht an. Er verhängte die Todesstrafe, was sicherlich auch als politisches Signal gegenüber hochrangigen Oppositionellen zu verstehen war.

Vor dem Kölner Severinstor wurde auf einer Säule ein Wagenrad befestigt. Dann wurden Friedrich die Gliedmaßen gebrochen – eine Gewalttat, an der sich in der Regel viele kräftige Männer beteiligen mussten, denn der Verurteilte erlitt heftige Qualen und versuchte sich sicherlich zu wehren, kommentiert Bendikowski. Im Falle des Isenburgers kam ein Beil zum Einsatz. Dann wurde der geschundene Körper mit gebrochenen Armen und Beinen auf das Rad gebunden oder, wenn er durch die Verletzungen biegsam geworden war, zwischen die Speichen geflochten. Der Verurteilte soll erst am nächsten Tag verschieden sein, sein Leichnam wurde den Vögeln überlassen.

Derartige Hinrichtungen waren in einer Zeit ohne Fernsehen, Acht-Stunden-Tag und Party-Zone Anlass zu ausgelassenem Jahrmarktstrubel. Doch die Zuschauer trieb nicht einfach ein perverser Voyeurismus an, der sich an spitzenden Körperflüssigkeiten erfreute, sondern für sie ging es auch um die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung durch die Ausschaltung eines Menschen, der diese geschändet hatte. Entsprechend bemüht war daher die Kirche, den Sündern so weit beizustehen, dass ihnen nach dem Erleiden ihrer Strafe doch noch ihr Seelenheil zuteilwerde. In diesem Sinn sollten Ketzer, Sodomiten und Zauberer durch eine irdische Variante des Fegefeuers gehen.

Die Todesstrafe war nicht zuletzt eine quälend-brutale Angelegenheit, weil es an ihrer professionellen Vollstreckung fehlte. Als Galgen reichte oft ein Baumstamm, der quer zwischen zwei Astgabeln gelegt wurde, schreibt Bendikowski. „In Ermangelung natürlicher Gegebenheiten muss es auch schon einmal ein Schnell- oder Kniegalgen tun, eine selbst gezimmerte Konstruktion aus einem senkrechten Pfahl mit einem Querbalken. Für den Verurteilten kann dieses Vorgehen allerdings die Qual verlängern, wenn – was nicht selten geschieht – dieser Galgen bei der Hinrichtung zusammenbricht. Laien begnügen sich beim spontanen Hängen, wenn sie den Täter auf frischer Tat ertappt zu haben wähnen, mit dem stabilen Ast des nächstbesten Baumes, was für den Todeskandidaten die ,sichere‘ Methode sein kann.“

 

2-R40-I1-1500-55 (109878) Inquisition / Holzst. nach R de Moraine Religion: Christentum / Inquisition. - Folterszene. - Holzstich nach Rene de Moraine (geb. 1816). Aus: M.V. de Fereal, Mysteres de l'In- quisition, Paris (P.Boizard) 1846. E: Inquisition / woodcut after R de Moraine Religion: Christianity / Inquisition. - Torture scene. - Woodcut after Rene de Moraine (born 1816). From: M.V. de Fereal, Mysteres de l'In- quisition, Paris (P. Boizard) 1846. |

Auch die Inquisition versuchte, mit der Folter Geständnisse zu erlangen

Quelle: picture alliance / akg-images





Es sind die wohlhabenden Städte, die als erste Spezialisten für die Vollstreckung in ihren Dienst nahmen. In der Handelsstadt Augsburg wird erstmals 1276 ein Scharfrichter erwähnt. Obwohl mit einem sozialen Kerngeschäft betraut, wurde ihm ein Platz am Rande der Gesellschaft zugewiesen. Daher erhielt er auch die Aufgabe, die Kloaken zu reinigen und Aussätzige aus der Stadt zu treiben. Für jede Hinrichtung erhielt er eine festgelegte Geldsumme und die Habe des Verurteilten, die er vom Gürtel abwärts trug. Verstümmelungen waren weniger lukrativ. Das Herausschneiden der Zunge oder das Abschlagen der Hände brachte ihm nur das ein, was das Opfer mit sich trug.

Mit dem Entstehen des Henkerstandes veränderte sich auch die Beweisaufnahme. Hatten Gerichte sich ihre Meinung gern mit einem Gottesurteil gebildet, etwa indem ein Beschuldigter ins Wasser gedrückt wurde und je nach Glück oder Lungenvolumen den Tauchvorgang überlebte, kam nun die Folter zum Einsatz. Mit ihr hatte die Kirche im Umgang mit vermeintlichen Ketzern gute Erfahrungen gemacht. Nun verfestigte sich auch in der weltlichen Gerichtsbarkeit die Ansicht, dass Geständnisse eine sicherere Basis für die Rechtsfindung darstellten als ein Lottospiel im Namen Gottes.

Von da brauchte es allerdings noch einige Jahrhunderte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die „peinliche Befragung“ nur sehr bedingt zur juristischen Wahrheitsfindung beitrug.