Wie drei Querschnittsgelähmte wieder laufen lernten


Artikel verfasst von

Maike

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(Foto: Jean-Baptiste Mignardot)

Es ist oft nur ein Sekundenbruchteil, der entscheidet. In dem der Autofahrer das unbeleuchtete Rad nicht sieht, der LKW dem Fußgänger den Vorrang nimmt, der Skifahrer die Kurve nicht kriegt. Sport und Verkehr sind die häufigsten Ursachen einer Querschnittslähmung, 1800 Fälle gibt es jährlich in Deutschland. Für die Opfer ein schweres Schicksal, bedeutet es doch fast immer, dass sie nie wieder laufen werden.

Die Medizin, die diesen Kranken einst kaum helfen konnte, macht kleine, aber spürbare Fortschritte. Wie Schweizer Wissenschaftler in den aktuellen Ausgaben von Nature und Nature Neuroscience berichten, können einige querschnittsgelähmte Patienten mit einer angepassten Form der Elektrostimulation durchaus wieder laufen lernen. Die Neuroingenieure um Gregoire Courtine zeigen an drei verschiedenen Fällen von Querschnittslähmung, dass eine Kombination aus angepasster Stimulation und Rehabilitationstraining bei nicht vollständig Gelähmten sogar dazu führen kann, dass die Patienten wieder eigenständig gehen können.

Einmal wird damit deutlich, dass die sogenannte epidurale elektrische Stimulation des Rückenmarks deutliche Verbesserungen für Gelähmte bringen kann. Für das Verfahren werden Elektroden in den Teil des Wirbelkanals eingebracht, in dem die Nervenwurzeln liegen. Sie können dann von außen elektrisch erregt werden. Erst vor wenigen Wochen hatten Wissenschaftler um Kristin Zhoa von der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, von einem querschnittsgelähmten Patienten berichtet, der mithilfe einer solchen Elektrostimulation noch drei Jahre nach seiner Verletzung wieder lernte, zu stehen, und sogar einige Schritte gehen konnte.

Bei dem Mann erfolgte jedoch eine andauernde Stimulation der Nerven. Er war auf Unterstützung durch Helfer und einen Rollator angewiesen, um sich fortzubewegen, und konnte sich auch nur während der Stimulation bewegen. Ein Lerneffekt war nicht zu beobachten. Die Forscher konnten daher zwar zeigen, dass selbst jahrelang vom Gehirn getrennte Nerven noch reagieren. Ein Tastgefühl erlangte der Patient jedoch nicht zurück. Jocely Bloch vom Centre Hospitalier Universitaire Vaudois in Lausanne, die an der aktuellen Studie beteiligt ist, äußerte sich vor einigen Wochen sehr kritisch über den Fall, wenngleich überzeugt, dass Elektrostimulation mehr könne.

Genau das haben Courtine, Bloch und Kollegen jetzt gezeigt. Die Neuroingenieure vermuteten, dass sich bei einer kontinuierlichen Stimulation der Nerven die Signale von Tastsinn und Motorik überlagern und gegenseitig blockieren. Für die Stimulation bei ihren drei Patienten nutzten sie deshalb ein mehrere Tage lang auf die Bewegung der Füße abgestimmtes, zeitlich unterbrochenes Stimulationsmuster. Außerdem versuchten die Forscher, die Nervenwurzeln gezielter anzusprechen, um koordinierte Bewegung zu ermöglichen.





Einige Experten sehen in der Arbeit daher Anlass für einen verhaltenen Optimismus, der jedoch nicht alle Gelähmten betrifft. "Wie in der sehr detailliert dargestellten Studie zu erkennen ist, profitieren vor allem unvollständig Querschnittsgelähmte", sagt Norbert Weidner von der Klinik für Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Bei diesen Patienten sei noch ein erheblicher Anteil von Nerven erhalten, die das Gehirn mit den Muskeln verknüpfen. Ähnlich sieht es Rainer Abel vom der Klinik für Orthophädie und Querschnittsgelähmte am Klinikum Bayreuth: "Die Arbeit belegt, dass es gelingen kann, intakte neuronale Netzwerke unterhalb der Verletzung im Rückenmark wieder anzusprechen und dem Körper für Willkürbewegungen verfügbar zu machen."

Die Ergebnisse sind laut Abel jedoch wichtig, da viele Patienten noch Rückenmark-Restfunktionen hätten, die in der Rehabilitation bislang kaum ausgenutzt werden könnten. "Alltagstauglich ist die Methode noch nicht", sagt Abel. "Das kann sie aber mit vertretbarem Risiko werden, wenn sie sich in Studien an einer größeren Zahl von Patienten bewährt".

Doch es gibt auch warnende Stimmen. "Die vollständige Heilung einer Querschnittslähmung wird noch lange einigen wenigen Fällen von regenerierbaren Unfallfolgen vorbehalten bleiben", sagt Winfried Mayr vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik an der Medizinischen Universität Wien. Schrittweise Verbesserungen in den therapeutischen Möglichkeiten werde es zwar weiterhin geben und es wäre auch wert, diese - mehr als derzeit üblich - in der klinischen Anwendung verfügbar zu machen. "Ein wichtiger Schritt ist jedoch die Erkenntnis, dass es nie eine Universallösung für alle Menschen mit Querschnittslähmung geben wird".