Wie die SPD den Exportstopp erzwang


Artikel verfasst von

Maike

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"Dieser Punkt geht klar an die SPD." Der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn ärgert sich immer noch über den einen wichtigen Satz, der nach der langen Nacht der Sondierung weit hinten im gemeinsamen Papier von Union und SPD stand: "Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, so lange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind." Ab sofort - das bedeutet nicht nur eine Absichtserklärung für die Zukunft, sondern eine Entscheidung, die schon jetzt der geschäftsführenden Regierung verbietet, Rüstungsexporte in diese Länder zu erlauben.

Es geht um nicht weniger als eine 180-Grad-Wende, von der nahezu alle großen Importländer betroffen sind. Auch wenn das Wirtschaftsministerium die vollständigen Zahlen für 2017 noch zurückhält, addieren sich die Summen schon bis Mitte November auf rund eine Milliarde Euro. An der Spitze liegt Ägypten mit rund 434 Millionen, es folgen Saudi-Arabien (264 Millionen), die Vereinigten Arabischen Emirate (224 Millionen), Kuwait (51 Millionen), Jordanien (24 Millionen) und Katar (vier Millionen).

 

Rüstungsexporte 1.1. bis 15.11.2017

Ägypten
Rüstungsgüter: 428.381.496 Euro | Dual Use (für zivile und militärische Zwecke nutzbar): 5.321.490 Euro
Saudi-Arabien
Rüstungsgüter: 249.239.203 Euro | Dual Use: 14.309.479 Euro
Vereinigte Arabische Emirate
Rüstungsgüter: 213.643.546 Euro | Dual Use: 10.583.368 Euro
Kuwait
Rüstungsgüter: 50.342.827 Euro | Dual Use: 1.006.006 Euro
Jordanien
Rüstungsgüter: 16.476.558 Euro | Dual Use: 7.053.370 Euro
Katar
Rüstungsgüter: 3.744.923 Euro | Dual Use 536.547 Euro

Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

 

 

Das Thema kam erst spät auf die Tagesordnung

Von Beginn an hatte der Verteidigungspolitiker der CSU gemeinsam mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen alles versucht, einen solchen Stopp von Rüstungsexporten zu verhindern: zunächst in der Fachgruppe Außen- und Sicherheitspolitik, dann beim "Vorsingen" in der Runde der Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Umso mehr wundert man sich in der Union, dass Angela Merkel und Horst Seehofer am Ende gegenüber der SPD eingelenkt haben. 

Dabei war das Thema Waffenexporte erst nachträglich auf Drängen des SPD-Außenexperten Rolf Mützenich auf die Tagesordnung gesetzt worden. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion streitet schon seit Jahren für eine strengere Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten und hat sich dabei immer wieder auch mit den eigenen Ministern in der Bundesregierung angelegt. Von Außenminister Sigmar Gabriel ist zu hören, dass er zuletzt nur noch genervt über den "Gutmenschen" Mützenich geredet habe, wenn der wieder Waffengenehmigungen an Kriegsparteien im Jemen öffentlich kritisiert hatte.

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Doch Gabriel durfte bei den Sondierungen nicht mitmachen und Mützenich fand einen für manche unerwarteten Verbündeten in SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Dessen Wahlkreis grenzt an den großen Rheinmetall-Standort Unterlüss, viele in der Südheide sind bei dem Rüstungskonzern beschäftigt. Noch vor einigen Monaten war Klingbeil im Präsidium des Lobbyverbandes "Förderkreis Deutsches Heer", der sogar das Berliner Klingelschild mit Rheinmetall teilt. Dafür war Klingbeil vor seiner Wahl zum Generalsekretär auch innerhalb der Partei kritisiert worden. Bei den Sondierungsverhandlungen ließ er freilich nie einen Zweifel daran, dass er die Forderung nach einem Rüstungsstopp entschlossen mittragen würde.

Der Widerstand aus der Union kam dagegen unterschiedlich stark. Während die Verteidigungspolitiker Hahn und von der Leyen eine solche Entscheidung strikt ablehnten, hielt sich Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU auffallend zurück. Er hatte sich schon in der Vergangenheit immer wieder für eine restriktivere Politik ausgesprochen. Am Ende wurde der entscheidende Satz geklammert - es war der einzige strittige Punkt in der Arbeitsgruppe, der zur Entscheidung an die Vorsitzenden weiter gereicht wurde.





Fast hätte Martin Schulz es vermasselt

Beim "Vorsingen" in der Chefrunde muss es nach übereinstimmenden Schilderungen aus Verhandlungskreisen ziemlich lebhaft zugegangen sein. Und fast wäre die Entscheidung ausgerechnet am SPD-Vorsitzenden Martin Schulz gescheitert. Der schien so froh zu sein, dass die Union auf das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben verzichtet hatte, dass er spontan anbot, den gesamten Absatz zu den Rüstungsexporten aus dem Sondierungspapier herauszunehmen. Beteiligte beschrieben dem ARD-Hauptstadtstudio anschaulich die überraschte Freude der Unionsseite und das sichtbare Entsetzen Mützenichs. Der SPD-Vorsitzende begriff seinen Fauxpas wohl erst, als ihm sein eigener Außenpolitikexperte offen widersprach.

Für neue Geschlossenheit im SPD-Team sorgte dann eher unfreiwillig die Kanzlerin, als sie der SPD vorhielt, sie habe doch bei der Ausrüstung der Peschmerga im Nordirak auch kein Problem mit der Lieferung von Waffen in ein Kriegsgebiet gehabt. Ein Vergleich, den Mützenich empört zurück wies -  ging es doch bei der Ausrüstung der Kurden um Verhinderung eines unmittelbar drohenden Völkermords, zu der sich die SPD im Bundestag als große Ausnahme durchgerungen hatte. Teilnehmer der Runde erinnern sich, dass der sonst eher zurückhaltend auftretende SPD-Abgeordnete an diesem Punkt ziemlich laut wurde.

Als die Arbeitsgruppe am Dienstagnachmittag die Bayerische Landesvertretung verließ, war lediglich ein allgemeines Bekenntnis zu einer weiteren Einschränkung der Rüstungsexporte und einer "Schärfung" der Exportrichtlinen beschlossen. Um das Thema Jemen stand weiter eine eckige Klammer.

In der langen Nacht fiel die Klammer

Der Stopp der Rüstungsexporte gehörte am Ende zu den Forderungen, die Martin Schulz und vor allem Andrea Nahles in der langen Nacht im Willy-Brandt-Haus noch durchsetzen konnten. Zugute kam ihnen dabei, dass die Kanzlerin schon bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen ein Einlenken gegenüber den Grünen signalisiert hatte. Allerdings war sie davon ausgegangen, dass dieses Thema für die SPD weniger Gewicht haben würde - auch wegen des Drucks von Gewerkschaften und Betriebsräten aus der Rüstungsindustrie. Das entschlossene Auftreten von Mützenich und Klingbeil muss hier offensichtlich Eindruck hinterlassen haben.

Viele in der Union, die sich über das Einlenken ärgern, setzen nun auf den Widerstand aus der Arbeitnehmerschaft. In Mecklenburg-Vorpommern, wo Patrouillenboote für Saudi-Arabien gebaut werden, nannte der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor den Sondierungsbeschluss "existenzgefährend für die Wolgaster Peene-Werft" und forderte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zu Nachverhandlungen bei den Koalitionsverhandlungen auf. Andere, die sich vor dem SPD-Parteitag nicht öffentlich äußern wollen, setzen offen auf Druck der IG Metall und ihrer Betriebsräte in den Rüstungsunternehmen. "Das wird denen noch um die Ohren fliegen", prophezeit ein Abgeordneter, der nicht genannt werden möchte.

 

 

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Mitentscheidung nur in der Bundesregierung

Doch die SPD-Spitze will sich in dieser Frage nicht unter Druck setzen lassen und den Beschluss auch auf dem Parteitag am Sonntag als Erfolg vertreten. "Da das Parlament bei Exportentscheidungen außen vor ist, können wir aber nur bei einer Regierungsbeteiligung sicher stellen, dass der Beschluss im Bundessicherheitsrat umgesetzt wird", argumentiert Rolf Mützenich. In Koalitionsverhandlungen müsste darüber hinaus verbindlich geregelt werden, wie die verabredete "Schärfung" der Rüstungsexportrichtlinien geregelt wird. Als Beispiel nennt er die durch eine ARD-Dokumentation bekannt gewordene Auslagerung der Produktion von Munition von "Rheinmetall" nach Sardinien und Südafrika. "Wir müssen viel wirksamer verhindern, dass Unternehmen den Handel in Kriegsgebiete wie den Jemen über Tochterfirmen im Ausland abwickeln."  Dafür allerdings bräuchte es wohl eine gesetzliche Regelung, die von der Union derzeit noch blockiert wird.

Beifall von den Kirchen

Rückenwind kommt von den Kirchen, die seit Jahren auf eine restriktivere Praxis bei Rüstungsexporten drängen. Der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, zeigt sich deshalb besonders erfreut, dass der Genehmigungsstopp im Fall Jemen nicht nur eine Absichtserklärung für die Zukunft sein soll: "Zu der humanitären Katastrophe im Jemen haben auch Waffenexporte aus Deutschland beigetragen. Wer die Bilder vom Leid der Menschen in den zerstörten Städten dort  vor Augen hat, kann nur dankbar sein, dass hier eine Vereinbarung gefunden wurde, die unmittelbar greift."

Missverständliche Äußerungen

Am Mittag schien es allerdings, als ob dieses Lob verfrüht gekommen sei. In der Bundespressekonferenz äußerte sich Regierungssprecher Steffen Seibert so missverständlich, dass dies von den anwesenden Journalisten übereinstimmend als Dementi eines bindenden Exportstopps interpretiert wurde. Seiberts Äußerungen lösten in der SPD Empörung und hektische Aktivitäten aus, schien sich die Kanzlerin offensichtlich zwei Tage vor dem Parteitag von einem der großen Sondierungserfolge der SPD zu distanzieren.

Steffen Seibert @RegSprecher
@thomas_wiegold Zur Präzisierung: Die Bundesregierung trifft bei Rüstungsexportgenehmigungen derzeit keine Entscheidung, die nicht mit dem Sondierungsergebnis in Einklang steht.
19.01.2018 13:02 Uhr via Twitter

Zugleich schien Merkels Sprecher auch Unionsunterhändler Jürgen Hardt zu widersprechen, der gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio und der Tageszeitung "taz" klar gestellt hatte, dass sich die geschäftsführende Bundesregierung "spätestens ab der Aufnahme regulärer Koalitionsverhandlungen so verhält, als gäbe es die Koalition bereits". Am Nachmittag twitterte Seibert schließlich eine Klarstellung, in der die sofortige Verbindlichkeit der Jemen-Entscheidung zugesagt wird.