Warum der Tod ein großer Lehrmeister ist


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Vor kurzem schrieb mir eine Frau, dass ihr 27jähriger Sohn bei einem Unfall verstorben war. Sie fragte, welchen Sinn so ein Schmerz macht und wie man das Ganze verkraften kann. Vielleicht hatte sie die Hoffnung von mir eine tröstende Antwort zu erhalten, weil ich hier und da über Sinnthemen schreibe. Oder weil ich versuche, Dinge aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Doch an diesem Abend merkte ich wieder einmal das ungeheuer Wesentliche dieser großen Lebensthemen: sie haben mit existenziellen Fragen des Menschen zu tun, die unfassbar tief im Menschen wühlen und uns alle dabei bis ins Innerste betreffen. Genau das erfuhr ich – wieder mal – am eigenen Leib.

 

 

Denn auf einmal war sie wieder da, ganz greifbar und mich unausweichlich betreffend: die Frage nach dem Tod. Und darauffolgend die ebenso unausweichliche Frage nach meinem eigenen Leben. Jene Frage, die mich schon als kleines Kind umgetrieben hat. Jene Frage, die im Alter von sechs Jahren Panik in mir aufstiegen ließ, jene Frage die mich in die tiefe Beschäftigung mit Nahtoderlebnissen, Philosophien und Religion trieb. Die Nachricht dieser Frau, die sie wahrscheinlich in bitterstem Herzschmerz und unter Tränen geschrieben hatte, ließ dies alles wieder in mir aufbrechen.

Wenn ich in solchen Situationen über das Thema Tod nachdenke, frage ich mich oft, ob ich in meinem Leben irgendetwas Relevantes getan habe. Ob meine Handlungen für mein Umfeld einen Unterschied gemacht haben, ob ich mit mir im Reinen bin und ob ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Immer wieder beschleicht mich dabei ein ungutes Gefühl.

So düster es sich vielleicht anhören mag: irgendwie war ich immer ein vom Tod Getriebener. Die Konfrontation mit dem eigenen Sterben als Kind war der Antrieb schlechthin, große Lebensfragen zu stellen – und die Frage nach der Vergänglichkeit, die uns alle betreffen wird, hat immer tief in mir gegraben. Diese Frage schneidet scharf und unerbittlich durch das Leben hindurch und weist allem seinen wirklichen Platz zu. Was wird dann sein? Habe ich je richtig gelebt? Habe ich mein Leben genutzt? War das, was ich tat richtig? Werde ich reuig oder dankbar auf mein vergangenes Leben zurückschauen?

Tod und Krankheit verändern unsere Wahrnehmung

Dieses mulmige Gefühl das mich dann oft beschleicht, kommt daher, dass im Angesicht des Sterbens so vieles seine angebliche „Wichtigkeit“ verliert. Um das besser zu erkären, vergleiche ich das gern mit krank sein. Ich meine, so richtig heftig krank sein. Wenn man mit 40° Fieber in seinem Bett liegt, während sich die Welt um einen herum dreht, der Körper sich anfühlt wie ein Haufen Elend und man Durst und Hunger hat, weil man seit drei Tagen nichts bei sich behalten kann. Da verliert das, was einen sonst erfüllt hat, ganz schnell an Wert und man fragt sich, wieso man diese Dinge überhaupt je als wichtig erachtet hat. Das Konfrontiert-Sein mit schweren Leiden zieht vielen Dingen im Leben die oberflächlich schönen Kleider aus. Und oft sehen sie nackt gar nicht mehr so schön aus, wie man meinte.

Eine einschneidende Erfahrung die im selben Fahrwasser spielte, war sicher auch das Sterben meines eigenen Vaters. Er ging früh – mit 54 Jahren – und lag ein dreiviertel Jahr im Wachkoma. Bei seinem Sterben war meine ganze Familie dabei. Alle miteinander wachend, als er mit dem Tod rang. Das stundenlange Atmen wie bei einem Marathonlauf und das aufgeregte Umherschauen habe ich nicht vergessen.

Nachdem das vorbei war, fuhren wir mit dem Auto am nächsten Mittag quer durch Berlin nach Hause. Und ich weiß noch genau, mit welchem veränderten Blick ich auf die Welt schaute. Ich sah die Leute einkaufen, Auto fahren, sich unterhalten und mit ernsten Mienen durch die Straßen ziehen. Manche verhielten sich dabei, als wären sie die Größten und Unantastbarsten der Welt, was für mich einfach grotesk aussah, nachdem ich gerade das Sterben eines geliebten Menschen miterlebte. Wie lächerlich wirkt egoistisches Verhalten im Angesicht des Todes, wo der Mensch wie ein Staubkorn weggepustet wird.

Der Tod lässt ungeheure Fragen aufbrechen

Immer wenn ich mit dem Thema Tod – und damit meine ich auch meinen eigenen – konfrontiert werde, frage mich, ob ich zu viel Zeit verplempert habe. Ob ich meine Lebensaufgabe nicht verstanden oder vielleicht nie gesucht habe. Ob ich Dinge getan habe, die weder mir noch anderen gut taten. Ob ich mehr Schaden als Segen brachte und mich vielleicht allzuoft habe blenden lassen. Ich frage mich dann, wie oft ich einer von denen war, die ich aus dem Autofenster heraus betrachtete und die wie Könige der Straße durch die Welt liefen.

Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass auch alles das einen Platz in unserem Leben hat, weil man auch – oder gerade – durch die negativen Dinge im Leben lernt. Im Letzten ist alles irgendwie gut, wenn auch auf einer ganz tiefen Ebene. Denn nichts geht an mir vorüber, ohne mich etwas über das Leben zu lehren. Aber der Schmerz ist dabei auch nicht immer einfach.

Die Wende: In der Erschütterung liegt unendliche Weisheit

Doch als ich so in diesem Zustand war, der manchmal so richtig tief in der Seele gräbt und betrifft, verstand ich etwas. Nämlich dass ich gerade genau das vollzog, was in vieler geistiger Literatur als große Weisheit beschrieben wird. Den eigenen Tod vor Augen haben, und vor seinem unausweichlichen Kommen das eigene Leben zu bewerten. Und zwar nicht als rein theoretischer Akt im Sinne einer intellektuellen Doktorarbeit, sondern in einem wirklichen inneren betroffen-sein. Sich dem eigenen kommenden Tod so auszusetzen, dass sein Feuer mich schon jetzt betrifft. Und ich verstand, dass dieser sehr unangenehme Zustand eigentlich sehr hell ist. Gerade deshalb, weiler so dunkel ist. Ein berühmtes Paradox der geistigen Lehrer.

„Man wird nicht erleuchtet, indem man sich Lichtfiguren vorstellt, sondern imdem man sich der Dunkelheit bewusst wird.“ – C.G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie

 

Tod und Krankheit bringen scharfe Klarheit

Die kommende Vergänglichkeit bringt in uns das Beste hervor. Wir spüren ganz deutlich die Wahrheit unseres Lebensweges. Wer sich einmal bewusst macht, dass er in diesem Leben nur eine gewisse Zeit zur Verfügung hat, die er mit ganz spezifischen Entscheidungen füllen soll, der merkt im Angesicht des Todes recht schnell, ob er sich auf seinem richtigen Weg befindet. In diesen Momenten, genau wie im heftigen Kranksein, stellt sich inmitten des fast unausstehlichen Leidens doch eine erstaunliche Klarheit ein. Diese klare Sicht ist nicht lieblich und süß, sie ist nicht Watte und Wärmflasche. Sie ist in einer gewissen Weise erbarmungslos ehrlich, hart und direkt. Aber sie ist klar, und lässt uns eindeutig spüren was in unserem Leben von Bedeutung war und was nicht. Sie ist es aber nur, wenn wir tief drinstecken. Sie ist es nicht, wenn wir nur neutral-theoretisch über den Tod nachdenken. Irgendwie muss die Krankheit und der Tod uns fest ummanteln, damit aus der Dunkelheit die zarte Pflanze der klaren Wahrheit aufsprießen kann.

Der Tod bringt Zugang zum inneren Wissen

Ich bin kein erleuchteter Engel in Menschenform und niemand, der in die geistige Welt hineinsieht und daher weiß wovon er spricht. Auch wenn ich gern so einer wäre, gehöre ich zu den Menschen, die genauso fragend vor dem Tod stehen, wie die meisten anderen auf diesem Planeten. Ich bin aus ganzem Herzen ein Soulseeker, wie er im Buche steht. Ich habe keine letzte Antwort auf das warum, wieso und weshalb des Sterbens eines so jungen Menschen, auch wenn mir die meisten möglichen Theorien darüber wohlbekannt sind.

Aber eine wichtige Schlussfolgerung kann man aus dem Betroffen-Sein des Todes ziehen. Es gibt Dinge, die wir in der Lebensrückschau bereuen werden, und Dinge mit denen wir im Reinen sind. Und diese beiden Empfindungen haben einen tieferen Grund. Anscheinend gibt es in jedem einzelnen von uns ein tieferes Wissen um den richtigen Lebensweg, die richtigen Handlungen, die richtigen Erfahrungen. Und tief in uns spüren wir ganz genau, ob wir dem in unserem Leben entsprechen oder nicht. Wir wissen, ob wir auf dem für uns richtigen Weg sind. Wir wissen, ob es Dinge gibt die wir immer machen wollten, aber uns nie trauten. Wir wissen, wo wir uns verleugnen und nicht am Puls unseres Lebens sind. Wir wissen, was im Letzten Bedeutung hat und was nicht. Aber anscheinend braucht es die Schärfe der Krankheit und des Todes, um uns dies bewusst zu machen.

Ich habe keine befriedigende Antwort auf den frühen Tod eines Menschen, auch wenn es natürlich Gedanken gibt, die dem Ganzen die Schärfe nehmen. Doch das möchte ich heute nicht. Denn in dieser Schärfe liegt begründet, dass sich in jedem Leben die Frage stellt, ob wir dem Ruf unserer Seele gefolgt sind. Und diese Schärfe wird auch dann nicht genommen, wenn der Tod nur ein Durchgang oder Tor ist. Denn diese scharfe Wirkung von Tod und Krankheit auf uns hat einen tiefen Sinn. Spannenderweise können so gut wie alle sterbenden Menschen am Ende ihres Lebens sehr klar formulieren, was sie bereuen und was nicht. Wundern tut es mich nicht, denn Tod und Krankheit lehren uns sehen.