Nur das Billigste


Artikel verfasst von

Maike

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Quelle Image: 18.01.2021: Nur das Billigste (Tageszeitung junge Welt)

 

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Gepostet von OP-V Deutschland am Freitag, 15. Januar 2021

 

Zwei Dosen Bohnen, drei Karotten und ein Müsliriegel für eine gesamte Arbeitswoche: In den vergangenen Tagen machten in den sozialen Netzwerken schockierende Bilder von Nahrungsmittelpaketen für arme Schulkinder in Großbritannien die Runde. Auch international sorgten sie für Aufsehen. Die Pakete waren an Familien geschickt worden, deren Kinder normalerweise in englischen Schulkantinen kostenlos Mittagessen zur Verfügung gestellt bekommen. Das Schulspeisungsprogramm ist für Millionen Familien ein wichtiger Rettungsanker, denn so ist wenigstens während der Schulzeit die Ernährung ihrer Kinder garantiert. Da in der Coronapandemie viele Schulen geschlossen bleiben, wurde das Programm umgestellt.

 

Die allermeisten öffentlichen Dienstleistungen sind in Großbritannien privatisiert. Bezahlen müssen dennoch die Steuerzahler, da die Regierung es sich viel kosten lässt, Großaufträge an multinationale Konzerne zu verteilen, so dass diese staatliche Aufgaben übernehmen. Seit Jahrzehnten gedeiht in dieser Umgebung die Korruption. So ist es keine Seltenheit, dass eine für solcherlei Dienstleistungen zuständige Firma über enge Verbindungen zur jeweils amtierenden Regierungspartei verfügt.

Das ist auch bei der Schulspeisung der Fall. Die Unternehmensmarke Chartwells des Konzerns Compass Group erhält von der britischen Regierung 350 Millionen Pfund für die Organisierung der Schulspeisung. Dabei gab es schon des öfteren Kritik an der Qualität des Essens, viele Kantinen staatlicher Schulen bieten nur Lebensmittel an, die so geringe Kosten wie möglich verursachen: gebackene Bohnen, Würste zweifelhafter Herkunft, höchstens im Ausnahmefall Gemüse. Die nun diskutierten Fotos der Nahrungsmittelpakete bringen insofern einen Skandal ans Licht, der schon lange existiert, nur eben hinter den verschlossenen Türen der Schulen. Für die Kinder der Arbeiterklasse kann es nicht billig genug sein.

 





 

Dabei kann Chartwells auch anders. Mit der Teilsparte Chartwells Independent betreibt die Compass Group auch ein Kantinenprogramm für die sündhaft teuren britischen Privatschulen. Hier wird maßgeschneidert. Auf der Firmenhomepage ist zu lesen: »Jede Privatschule ist einzigartig, mit distinktivem Ethos und Charakter. Wir freuen uns, unsere besten Erfahrungen einzubringen, um jede von ihnen zu unterstützen.« Wo bei staatlichen Schulen die möglichst billige Uniformität praktiziert wird, wird bei den Privatschulen Individualismus großgeschrieben: »Die Bedürfnisse eines Kindes ändern sich, während es seine unabhängige Bildung durchläuft. Wir reflektieren das mit unseren geschmackvollen, ansprechenden Menüs, fürsorglicher Unterstützung im Essensraum sowie altersgemäßen Aktivitäten rund um die Ernährung in den Schulen.« Auch von den Buffets der Privatschulen wurden in den vergangenen Tagen Bilder in den sozialen Netzwerken geteilt. Darauf zu sehen: Pasteten, gebackene Bananen und andere aufwendige Speisen.

Die Compass Group ist ein an der Londoner Börse gehandelter multinationaler Konzern und gilt als das weltgrößte Cateringunternehmen mit fast 600.000 Angestellten in 45 Ländern. Versorgt werden Gefängnisse, Schulen, Militäreinheiten und Betriebe. Dabei kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Skandalen. Etwa weil der Konzern in den USA teilweise auf die unbezahlte Zwangsarbeit von Gefangenen setzt oder aber im Jahr 2013 falsch deklariertes Pferdefleisch unbekannter Herkunft in seinen britischen und irischen Kantinen verkaufte.

Das Coronajahr 2020 war für den Multi indes ein schwieriges, die Profite brachen um 83 Prozent ein. Die Wirtschaftsprüfer von J. P. Morgan warnen, dass die Compass Group unter den europäischen Cateringkonzernen am stärksten von den »strukturellen Änderungen« infolge der Coronakrise betroffen sei. Die Arbeit von zu Hause ist schlecht für das Geschäft eines Caterers, für den Betriebs- und Schulkantinen einen wesentlichen Bestandteil des Portfolios darstellen. Um so nützlicher dürfte es für den Konzern daher sein, dass die Compass Group in den vergangenen Jahren immer wieder Wahlkampfspenden an die in Großbritannien regierenden Konservativen geleistet hat. Entsprechend ist es unwahrscheinlich, dass die Tories Compass und Chartwells untergehen lassen werden.