Das Verschwinden der Mittelklasse


Artikel verfasst von

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Roboter und künstliche Intelligenz werden die Arbeitswelt ändern, das ist sicher. Aber hilft da ein bedingungsloses Grundeinkommen? Zweifel sind angebracht.


 

Am Tag der Arbeit 2018 sind viele besorgt. Die Digitalisierung macht etwas mit der Arbeit, das bestreitet fast niemand. Trotzdem scheint der Effekt in Deutschland noch überschaubar. Dort, wo die Arbeitsplätze sind, gibt es ja auch zu selten schnelles Internet. In Berlin Mitte zum Beispiel, wo soeben Start-up-Gründer ihr Leid klagten, dass sie keine akzeptable digitale Infrastruktur bekommen. Ja, in Berlin Mitte.





Aber es kommt etwas. Und wenn man den Äußerungen von Siemens-Chef Joe Kaeser oder Philosoph Richard David Precht folgen möchte, herrscht jetzt nur die Ruhe vor dem Sturm. Schon bald wird praktisch die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden können, das gilt irgendwie als ausgemacht. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2018 in Davos wurde deshalb das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert, das zum Beispiel auch Telekom-Chef Höttges vorschlägt. Es solle von "Internet-Konzernen" finanziert werden, womit er sicherlich nicht seinen eigenen meint. Meinen kann.

Der Subtext vieler solcher Diskussionen ist, dass die Hälfte der heutigen Arbeitnehmer demnächst nicht mehr gebraucht werde. Das wäre ein gewaltiges Problem, das mit Geld allein nicht lösbar wäre. Mir erscheint die Rede vom bedingungslosen Grundeinkommen in Davoser Sphären als diffuser Phantombegriff, als Rechtfertigung, die vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen in Zukunft ignorieren zu dürfen. Hier hast Du Geld, jetzt halt die Schnauze, kauf Dir ein Smartphone und geh aus dem Weg!

Ich möchte der These des drohenden Verlustes der Hälfte der Arbeitsplätze nicht folgen. Stattdessen möchte ich die Gegenthese aufstellen, dass es sich um ein Scheinproblem handelt und das tatsächliche Problem längst da ist. Es ist nur schwer zu erkennen.





Die 400.000-Dollar-Mittelklasse

 

Digitalisierung, Robotik und künstliche Intelligenz werden in den nächsten Jahren nicht die oft bedrohlich gezeichnete, superplötzliche, revolutionäre Totalveränderung der Arbeitsgesellschaft bewirken. Aber sie verstärken Kapitalismuseffekte, die wir längst kennen.

Künstliche Intelligenz ist nicht das Ende der Arbeit, sondern begünstigt die weitere Aufspreizung der Arbeit in vergleichsweise wenige hochbezahlte, hochqualifizierte Jobs und eine Vielzahl von schlechter bezahlten. Eine Extremprojektion dieser Entwicklung findet rund um das Silicon Valley statt. Dort liegt der mittlere Verdienst (Median) von Facebook-Angestellten bei unfassbaren 240.000 Dollar. Die konkrete Folge: im weiten Umkreis von Facebook passt sich die Preisgestaltung an. Häuser sind für Normalverdiener vollkommen unerschwinglich. Das Silicon Valley ist so teuer geworden, dass Leute mit 400.000 Dollar Jahresverdienst ernsthaft glauben, sie seien "Mittelklasse".

Ein bekanntes Phänomen

Der Vergleich mit einem anderen Digitalkonzern verdeutlicht die Problematik, die meiner Ansicht nach die Arbeit der Zukunft mit sich bringen wird: Während der Durchschnittsverdienst bei Facebook fast eine Viertelmillion Dollar beträgt, liegt er bei Amazon bei 28.446 Dollar. Dort sind sehr viel mehr Lagerarbeiter beschäftigt als Softwareentwickler. Das ist die Gegenwart der Digitalisierung.

Auch wenn immer mehr Lagerarbeiter durch Roboter ersetzt werden, ändert das wenig am Prinzip. Natürlich werden bestimmte Jobs wegfallen, und natürlich wird künstliche Intelligenz eine Menge Berufe und ganze Branchen stark verändern.

Aber in der Debatte um Arbeit neigt man dazu, die Wirkung der Digitalisierung auf einzelne Jobs - Lkw-Fahrerin, Steuerfachgehilfe, Rechtsanwältin - hochzurechnen. Auf diese Weise kommen auch scheinbar sinnvolle Vorhersagen zustande: "Ein Busfahrer, der seinen Beruf verliert, wird nicht anschließend Virtual-Reality-Designer." Nein, natürlich nicht. Aber auch vor 100 Jahren wurden Heizer, deren Jobs durch die Automatisierung verloren gingen, nicht anschließend Architekten. Der Arbeitsmarkt funktioniert einfach anders. Er zwingt viele Menschen in Jobs, bei denen nicht die Qualifikation das ausschlaggebende Kriterium ist, sondern das Akzeptieren schlechter Bezahlung.

Die Gefahr, die ich sehe: Wenn es in der Debatte um die Zukunft der Arbeit darum geht, wie man Leute versorgt, die wegen der Digitalisierung keinen Job mehr kriegen können, fokussiert man sich auf ein Godot-Problem, das vielleicht irgendwann kommt oder auch nicht. In der Zwischenzeit wird die Mittelschicht ausgedünnt, bekommen geringer Qualifizierte nur noch Jobs, die kaum zum Überleben reichen, braucht man schon zur Versorgung einer Familie mehr Geld, als viele Menschen heute erwirtschaften können.

Dieses alte Problem kann ohne wirksame Gegenmaßnahmen durch die Digitalisierung sehr viel schlimmer werden. Siehe den Gehälterunterschied zwischen dem entwicklerlastigen Facebook und dem arbeiterlastigen Amazon.

Gut bezahlte Jobs werden seltener





Meine Perspektive auf die Arbeit in der kommenden Digitalisierung ist keine technologische, sondern eine soziale. Sozialstaatliche Strukturen, Bildung und Fortbildung haben auf die Zukunft der Arbeit der einzelnen Menschen einen ungleich größeren Einfluss als Technologien.

Die Frage der Politik zu Arbeit und Digitalisierung darf nicht heißen: Was machen wir mit denen, die durch Digitalisierung keine Arbeit mehr finden? Sondern: Wie gehen wir mit Geringverdienern um? Denn deren Zahl wird zunehmen, quer durch alle Berufe, aber besonders bei den geringer Qualifizierten.

In der Fläche schwindet nicht die Arbeit, sondern die gut bezahlte Arbeit, ein Phänomen, das sich schon länger beobachten lässt. Das ist für die Bevölkerung sehr konkret spürbar: Im 20. Jahrhundert konnte sich eine Mittelschichtsfamilie ein Haus in einem Ballungsgebiet leisten - heute nicht mehr. Natürlich stehen hinter diesem Vergleich viele Faktoren, die nur indirekt mit dem Arbeitsmarkt zu tun haben: Globalisierung, Immobilienmarkt, Finanzierungsmechanismen. Aber die Entwicklung der Arbeit durch Digitalisierung kann diesen Trend verstärken.

Der unwahrscheinliche Umbau

Meiner Ansicht nach gibt es aus diesem gesellschaftlichen Problem nicht den einen, schon heute klar erkennbaren Ausweg. Dem Grundeinkommen gegenüber bin ich in den letzten Jahren skeptischer geworden (ohne es vollständig ausschließen zu wollen), weil es das Problem des Wandels der Arbeit eher verschiebt. Vielleicht ist es sogar die Lösung für ein Problem, das so wie befürchtet gar nicht eintreten wird.

 

Ein Umbau des Sozialstaats erscheint aus demografischen und digitalisierungsbezogenen Gründen erforderlich. Zum Beispiel, was die Absicherung von Selbstständigen angeht oder die Anpassung an die sehr divers gewordenen Lebensentwürfe selbst durchschnittlicher Arbeitnehmer. Ein solcher Wandel ist aber wenig wahrscheinlich, weil eine Menge Leute nicht zu Unrecht befürchten, dass dabei mehr Schaden als Zukunftsfähigkeit entsteht.

Alle sind besorgt am Tag der Arbeit 2018. Aber nicht so besorgt, dass etwas grundsätzlich geändert würde.