Das Selbstbau-Handy aus der Tupperdose


Artikel verfasst von

Maike

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Quelle Image:  Unbekannt 

 

Die kleine Plastikdose ist auf jeden Fall ein Hingucker. Wenn Susanne S. in der Berliner U-Bahn unterwegs ist und auf ihrer Tupperdose herumtippt, beobachtet sie andere Fahrgäste häufig dabei, wie sie länger auf das merkwürdige Gerät starren. "Es gibt Leute, die kaufen sich ein Smartphone, und es gibt Verrückte wie mich, die bauen sich das", erläutert die 34-Jährige ihren Eigenbau. Auf dem 35. Chaos Communication Congress (35C3) in Leipzig präsentierte die Berlinerin am Samstag ihr Raspberry-Telefon.

Wobei: Telefonieren ist mit dem Ding gar nicht so einfach. Schließlich verfügt das Gerät weder über einen Lautsprecher oder ein Mikrofon noch über ein GSM-Modul mit Sim-Karte. Der Raspberry Pi kann sich lediglich per LAN oder WLAN mit dem Internet verbinden und dann über Voice over IP (VoIP) ein Gespräch aufbauen. Es ist auch gar nicht so leicht, angerufen zu werden. Wenn sie nicht zufällig das Headset auf den Ohren hat, merkt Susanne mangels Lautsprecher gar nicht, dass jemand sie erreichen will.

 

Kontrolle über Software und Spaß beim Eigenbau

Aber warum ist die Berlinerin vor gut zweieinhalb Jahren auf die Idee gekommen, sich selbst ein Handy zusammenzubauen? "Ich wollte mir nie ein Smartphone kaufen, weil ich immer gesagt habe: Nee, so viele Überwachungsfeatures möchte ich dann doch nicht haben", sagt sie im Gespräch mit Golem.de. Dabei habe sie sich von einem ähnlichen Projekt im Hackerspace anstecken lassen. "Das hat dann einfach auch Spaß gemacht", sagt Susanne, die derzeit ein sogenanntes Freiwilliges Technisches Jahr beim IT-Dienstleister ITDZ absolviert.




 

Als weitere Motive für den Selbstbau nennt sie in ihrem Vortrag die Kontrolle über die Software und die Lernmöglichkeiten zum Verständnis der Technik. Dass sie mit dem Gerät nicht ständig über alle Kanäle erreichbar ist, sieht sie dabei als Vorteil an. Den Verzicht auf GSM begründete sie mit den Worten: "GSM ist nicht richtig frei und wir wissen nicht so genau, was das alles macht." Dennoch überlege sie, über einen UMTS-Stick ins Netz zu gehen und dann über ihr Sip-Gateway zu telefonieren.

 

Vorteil: Whatsapp läuft nicht

Als Basis hat sie sich für einen Raspberry Pi 3B entschieden, weil ein 3B+ mit ihrer Powerbank gar nicht erst gebootet habe. Für die Anzeige benutzt sie einen Waveshare-Touchscreen mit einer Diagonale von 4 Zoll und einer Auflösung von 320 mal 480 Pixeln, der von der GPIO angesteuert wird. Größere Displays würden zusätzlich einen HDMI-Anschluss erfordern, worauf sie verzichten wollte. Als Betriebssystem installierte sie Arch Linux ARM (32 Bit), da sie bei Raspbian zu viele nicht benötigte Anwendungen habe deinstallieren müssen. Zum Telefonieren nutzt sie die Open-Source-Software Linphone. Ihr Telefon verwende nur wenig proprietäre Software, "ganz vermeiden konnte ich es noch nicht", sagte Susanne.

Was klar ist: Auf ihrem Gerät laufen keine gebräuchlichen Apps, die für Betriebssysteme wie Android oder iOS entwickelt wurden. "Das ist tatsächlich ein Feature", verteidigt Susanne ihr Konzept, "das hat den Vorteil, ich kann auch wirklich kein Whatsapp installieren". Bei ihren Kolleginnen aus dem Technischen Jahr habe sie damit immerhin bewirkt, sich über die datenschutzrechtlichen Nachteile von Whatsapp auszutauschen.

 

Die größten Herausforderungen als Einsteiger

Über den Browser Midori kann sie immerhin ins Internet, so dass ihr Gerät tatsächlich etwas mehr kann als eine Featurephone wie das Nokia 3310. Zudem kann sie über den XMPP-Client Gajim Textnachrichten verschicken und einige Spiele spielen.

Susanne sieht sich eher als technische Anfängerin, die gerne eine Ausbildung zur Fachinformatikerin absolvieren würde. Daher ist sie stolz, dennoch einige Hürden bei der Software- und Hardware-Entwicklung überwunden zu haben. So habe sie einen USB-Port abgelötet und mit Unterstützung des Berliner Hackerspaces C-Base stattdessen eine Soundkarte eingelötet. Bei Linphone habe sie sogar den Quellcode anpassen und neu kompilieren müssen, obwohl sie kein C oder C++ beherrsche. "Ziemlich stolz" ist sie zudem, herausgefunden zu haben, wie sich auf dem Display eine rechte Maustaste simulieren lässt, wenn man länger auf den Touchscreen drückt. Derzeit plant sie, die Ergebnisse ihrer Basteleien auf einem Git-Repository bereitzustellen.




 

 

Touchfähiger Kalender als nächstes Projekt

Die größten Probleme lagen für Susanne in der Anpassung der Konfigurationsdateien, beispielsweise für das Display. Als nachteilig bei der Konfiguration erwies sich dabei die geringe Auflösung des Touchscreens. Daher ließ sich beispielsweise die Kommunikationssoftware Jami (früher ring.cx) nicht sinnvoll nutzen. Besonders komfortabel ist das Eingeben von Text auf Zahlen auf einem solch kleinen Display ebenfalls nicht, wie sich bei einer Vorführung zeigte. Annehmbar ist hingegen die Akkulaufzeit von gut zwei Tagen, was natürlich stark von der Größe der Powerbank abhängt. Der Preis der Komponenten von 120 Euro ist ebenfalls günstiger als bei den meisten Smartphones.

Als nachteilig erwies sich jedoch der geringe Arbeitsspeicher von 1 GByte des Raspberry. Daher lassen sich Standard-Kalenderprogramme auf dem Gerät nicht sinnvoll nutzen. Susanne will sich daher im neuen Jahr daransetzen, einen eigenen touchfähigen Kalender zu programmieren. Zudem will sie versuchen, den Lautsprecher eines alten Handys für Klingel und Vibrationsalarm einzubauen. Schließlich will sie ab und zu doch einmal erreichbar sein.